Mizelle
Mizellen/Micellen sind Zusammenschlüsse (Agglomerate) von grenzflächenaktiven Molekülen (Tensiden) in einem Lösungsmittel, meist Wasser. Viele der mit Tensiden verbundenen Eigenschaften, z. B. ihre Reinigungswirkung, beruhen auf Mizellen. Die Fähigkeit zur Mizellbildung ist ein Merkmal aller löslichen Tenside.
Wie entstehen Mizellen?
Tenside sind amphiphile Moleküle, d. h. sie bestehen aus einem hydrophilen (wasseraffinen) und einem hydrophoben, lipophilen (wasserabweisenden) Teil. Als einzelne Moleküle (Monomere) in Lösung reichern sie sich an der Oberfläche an und ordnen sich so an, dass sich der hydrophobe, langkettige Bestandteil („Schwanz“) nach außen orientiert, währen der hydrophile „Kopf“ nach innen in die Volumenphase gerichtet ist. Im Zuge zunehmender Belegung der Oberfläche sinkt die Oberflächenspannung.
Sobald die Oberfläche vollständig besetzt ist und keine weiteren Tensidmoleküle Platz finden, sinkt die Oberflächenspannung nicht weiter. Bei einer weiteren Erhöhung der Konzentration ordnen sich die zusätzlichen Tensidmoleküle zu Mizellen an. Es handelt sich um meist kugelförmige Gebilde, bei denen die hydrophoben Ketten nach innen und die hydrophilen Köpfe nach außen gerichtet sind.

Die gängige Bezeichnung „Kopf“ für die hydrophile Gruppe und deren Darstellung als Kugel in den meisten Illustration suggeriert, dass diese Gruppe immer klein und kurzkettig ist. Tatsächlich kann die hydrophile Gruppe jedoch ebenfalls langkettig sein, sodass dieser populäre Erklärungsansatz etwas irreführend ist.
Was ist die kritische Mizellkonzentration?
Die Konzentration, oberhalb derer sich Mizellen bilden, wird als kritische Mizellkonzentration (CMC) bezeichnet. Die CMC ist ein substanzabhängiger Wert und eine wichtige Kenngröße für Tenside.
▶ Mehr Details finden Sie im Glossarartikel: kritische Mizellkonzentration (CMC).
Von welchen Faktoren hängt die Bildung von Mizellen ab?
Neben der chemischen Struktur des Tensids und der Konzentration spielen die Art des Lösungsmittels, dessen Salzgehalt und pH-Wert sowie die Temperatur eine wichtige Rolle für die Entstehung von Mizellen.
Wie hängt die Bildung von Mizellen mit der Temperatur zusammen?
Die Bildung von Mizellen ist ein thermodynamischer Prozess und als solcher abhängig von der Temperatur. Damit sich Mizellen bilden können, müssen sich Tensidmoleküle als Monomere in Lösung befinden. Diese Löslichkeit ist nur unter geeigneten Temperaturbedingungen gegeben. Dabei besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen ionischen und nicht-ionischen Tensiden:
- Bei ionischen Tensiden (z. B. Salze von Fettsäuren oder langkettigen Sulfonsäuren, etwa Natriumdodecylsulfat = SDS) steigt die Löslichkeit und entsprechend die Fähigkeit, Mizellen zu bilden, mit der Temperatur. Die Mindesttemperatur für die Mizellbildung wird Krafft’sche Temperatur genannt. Dieser Wert unterscheidet sich von Tensid zu Tensid.
- Nichtionische Tenside (z. B. langkettige Ethoxylate) sind bei zunehmender Temperatur weniger löslich. Ab einer stoffspezifischen, als Trübungspunkt (Cloud Point) bezeichneten Temperatur zerfallen mizellare Strukturen oder bilden größere Verbände. Die Lösung trennt sich in eine tensidangereicherte und eine tensidarme Phase auf.
Worauf beruht die Wasch- und Reinigungswirkung von Mizellen?
Zunächst senken Tenside die Oberflächenspannung des Wassers und sorgen so für eine bessere Benetzung der zu reinigenden Oberfläche sowie eine intensivere Durchwirkung von Textilien in einem Waschvorgang. Für das Lösen und den Abtransport hydrophober Verunreinigungen (Fette, Öle, Ruß, etc.) sind jedoch Mizellen verantwortlich. Die hydrophoben Moleküle werden dabei in das Innere der Mizellen eingelagert und mobilisiert.
Die Kosmetikindustrie verspricht sich von Mizellen, etwa in so genanntem Mizellenwasser, eine hautschonende Entfernung von Unreinheiten. Diese Rezepturen sind in der Regel frei von Ölen oder organischen Lösungsmitteln und können nach der Anwendung auf der Haut belassen oder ggf. einfach mit Wasser abgewaschen werden. Auch Lösungen für industrielles lösungsmittelfreies Entfetten beruhen auf der Wirkung von Mizellen.
Wie werden Mizellen in der Pharmazie genutzt?
Die Fähigkeit von Mizellen, Fette und Öle in einer wässrigen Phase zu lösen und zu mobilisieren, wird für hydrophobe pharmazeutische Wirkstoffe genutzt. Eingebettet in Mizellen, können diese Substanzen in einem auf Wasser basierenden, flüssigen Arzneimittel eingenommen und im Körper transportiert werden.
Können Tenside noch andere Formen von Molekülagglomeraten bilden?
Wird oberhalb der CMC die Konzentration weiter deutlich erhöht, können sich größere Molekülverbände bilden. Die Zahl der in einer Mizelle gebundenen Monomere ist weitgehend konstant, daher bilden sich keine größeren Mizellen, sondern deren Anzahl steigt zunächst an. Bei sehr hoher Konzentration entstehen komplexere Formen wie stäbchenförmige Agglomerate oder doppelschichtige Lamellen. Es formen sich fließfähige Strukturen mit einer Fernordnung. Diese werden als flüssigkristalline Systeme bezeichnet.
Was sind inverse Mizellen?
Aufgrund ihres amphiphilen Charakters sind viele Tenside statt in Wasser auch in organischen, hydrophoben Lösungsmitteln löslich. Die Orientierung der Gruppen des Tensids kehrt sich in diesem Fall um. In dem als umgekehrte oder inverse Mizelle bezeichneten Agglomerat sind die hydrophoben Gruppen nach außen und die hydrophilen nach innen gerichtet.
Inverse Mizellen werden z. B. bei der Extraktion mit überkritischem Kohlendioxid genutzt. Mittels Tensidzusätzen kann das Verfahren auch für polare Substanzen angewendet werden, die in CO2 schlecht löslich sind.
Wie lässt sich die Bildung von Mizellen physikalisch erklären?
Mizellbildung vollzieht sich unter gegebenen Bedingungen (Konzentration, Temperatur) als spontan ablaufender Gleichgewichtsprozess. Der Vorgang ist exotherm, d. h. Energie wird frei und die Mizellbildungsenthalpie ΔHmic besitzt entsprechend ein negatives Vorzeichen.

Die Mizellbildungsenthalpie lässt sich gemäß dieser Formel aus der Änderung der CMC mit der Temperatur berechnen. Die Gleichung bildet die Tatsache ab, dass sich das chemische Gleichgewicht der Mizellbildung bei Erhöhung der Temperatur in Richtung des Ausgangsprodukts (Tensidmonomer) verschiebt, sodass sich erst bei höherer Konzentration Mizellen bilden. Die CMC steigt also mit steigender Temperatur an.
Literatur
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