Entnetzung
Entnetzung beschreibt die Verkleinerung der Kontaktfläche zwischen einer Oberfläche und einer zweiten, kondensierten (flüssigen oder festen) Phase. Dieser Artikel bezieht sich auf den häufigsten Fall der Entnetzung zwischen einem festen Substrat und einer Flüssigkeit. Der umgekehrte Vorgang wird Benetzung genannt.
Wie verhalten sich Benetzung und Entnetzung zueinander?
Während adhäsive Wechselwirkungen zwischen angrenzenden Phasen eine Vergrößerung der Grenzfläche, also Benetzung bewirken, halten kohäsive Kräfte der einzelnen Phasen diese gewissermaßen zusammen und wirken in Richtung einer Minimierung der Kontaktfläche (Entnetzung). Im Gleichgewicht zwischen diesen Kräften, welches für ideale Oberflächen durch die Young’sche Gleichung beschrieben wird, bildet sich ein charakteristischer Kontaktwinkel aus.
Sind Benetzung und Entnetzung energetisch äquivalent und nur die Richtung kehrt sich um?
Aufgrund von Oberflächeneigenschaften wie Rauheit oder chemischer Inhomogenität sowie durch Bildung einer Adsorptionsschicht der benetzenden Phase auf dem Substrat sind der Benetzungs- und Entnetzungsprozess nicht symmetrisch. Der sich während oder nach einer Verkleinerung der Kontaktfläche ausbildende Rückzugswinkel charakterisiert die Entnetzung. Dieser kann sich vom Fortschreitwinkel während oder nach einer Ausbreitungsbewegung deutlich unterscheiden. Die Differenz zwischen Rückzugs- und Fortschreitwinkel wird als Hysterese, genauer Kontaktwinkelhysterese bezeichnet.
Wo kommt Entnetzung in der Praxis vor?
Bei nicht vollständig benetzbaren Materialien (Kontaktwinkel > 0°) gibt es kaum natürliche oder technische Benetzungsvorgänge, die ganz ohne eine Entnetzung, also eine anschließende Rückzugsbewegung ablaufen. Das liegt an einer meist hohen Dynamik der Benetzung, ob bei auftreffenden Regentropfen oder bei technischen Beschichtungsprozessen. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag [12. Juni 2024] definiert Entnetzung folgendermaßen: Dewetting describes the process of retraction of a fluid from a non-wettable surface it was forced to cover. [Entnetzung beschreibt den Vorgang des Zurückziehens einer Flüssigkeit von einer nicht benetzbaren Oberfläche, deren Benetzung erzwungen wurde.] Nach einer durch Dynamik forcierten Benetzung folgt also auf die Ausbreitung der Kontaktfläche ein anschließender Rückzug.
Entnetzung ist also ein häufig auftretendes Phänomen, das zum Beispiel auch bei Regentropfen auftritt, die von einer Glasscheibe oder einem Blatt ablaufen, oder beim Wachsen von Gasblasen bei elektrochemischen Vorgängen. Nicht zuletzt bringt auch die Verdunstung einer nicht vollständig benetzenden Phase eine Entnetzung mit sich.
Können Entnetzung und Benetzung separat gemessen werden?
Die Methode Stood-up Drop arbeitet mit einer bewusst hohen Dosierdynamik eines Wassertropfens und sorgt dafür, dass sich die Flüssigkeit flach ausbreitet und sich dann in Sekundenbruchteilen zu einem definierten Tropfen zusammenzieht. Dieser Vorgang ist sehr gut reproduzierbar und führt zu einem zuverlässigen Messwert für die Entnetzung, der als Rückzugsabschlusswinkel (recently receded contact angle, RRCA) bezeichnet wird.
Um die Benetzung isoliert zu messen, wird mit einer möglichst geringen Dosierdynamik gearbeitet, um eine initiale Ausbreitung der Kontaktfläche zu unterbinden. Dafür eignet sich z. B. die Liquid Needle Dosiertechnologie, mit welcher der Fortschreitabschlusswinkel (recently advanced contact angle, RACA) gemessen wird. Auch mit herkömmlichen Nadeldosiersystemen können Fortschreit- und Rückzugswinkel gemessen werden, wobei die Messung deutlich mehr Zeit kostet und die Ergebnisse stärker von Benutzerentscheidungen abhängen.
Fortschreit- und Rückzugswinkel sowie die Hysterese können ferner mechanisch auf Basis der Kapillarkraft mit der Wilhelmy-Methode eines Tensiometers gemessen werden.
Für welche Fragestellungen ist es interessant, die Entnetzung zu charakterisieren?
Analysen der Benetzbarkeit sind sowohl in der F&E als auch in der Qualitätssicherung etabliert. Die relevanten Kontaktwinkelergebnisse sind leicht zugänglich, in vielen Normen verankert und über die Young’sche Gleichung mit der freien Oberflächenenergie verknüpft.
In jüngerer Zeit richtet sich das Augenmerk aber auch auf Messungen des Rückzugswinkels als komplementäre, empirische Methode. Es hat sich gezeigt, dass der mit dem Stood-up Drop gemessene RRCA häufig gut mit Parametern von Materialvorbehandlungen oder auch mit QC-Prüfergebnissen von Oberflächen korreliert. Beispiele dafür sind Plasmabehandlungen zur Oberflächenaktivierung oder Messungen der moisture vapor transmission rate (MVTR), einer Kennzahl für Feuchtigkeitsschutz bzw. Atmungsaktivität.
Im Mittelpunkt steht dabei nicht die Analyse chemo-physikalischer Eigenschaften des Materials, sondern dessen Prüfung auf Basis einer zuvor ermittelten Eichkurve zwischen dem entsprechenden Parameter und dem RRCA. Die schnelle und einfache Messung des RRCA hat das Potenzial, die Menge aufwändigerer Prüfungen durch Prescreenings zu reduzieren oder solche Testmethoden sogar ganz zu ersetzen.