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AR272

Warum Testtinten nicht die ganze Wahrheit über die freie Oberflächenenergie sagen

Eine Vergleichsstudie zwischen Testtinten und Kontaktwinkelmessungen aus unserem Labor

Für die Behandlung von Materialien vor der Beschichtung, Verklebung oder Bedruckung gibt es eine Reihe von Verfahren zur Aktivierung der Oberfläche. Dazu gehören thermische oder elektrische Verfahren wie Plasma-, Flamm- oder Koronabehandlung sowie die chemische Behandlung mit oxidierenden Gasen. Ebenso wichtig sind Reinigungsschritte, welche hydrophobe Substanzen von der Oberfläche entfernen. All diese Methoden erhöhen die freie Oberflächenenergie (SFE) und verbessern so die Benetzbarkeit und Haftung.

 

Normen wie DIN 55660 für Beschichtungsstoffe und DIN EN 828 für Klebevorgänge legen die Kontaktwinkelmessung als Methode fest, um die SFE von Oberflächen zu bestimmen und den Effekt einer aktivierenden oder reinigenden Vorbehandlung zu prüfen. Daneben werden häufig noch Testtinten eingesetzt, welche die SFE anhand von Flüssigkeiten mit eingestellter Oberflächenspannung (OFS) wiedergeben sollen.

 

Gemäß der Testtintenmethode kommt es bei Wertegleichheit zwischen SFE des Festkörpers und OFS der Flüssigkeit immer zu vollständiger Benetzung. Viele wissenschaftliche Autoren haben diese Benetzungstheorie widerlegt und gezeigt, dass erst eine Analyse der polaren und dispersiven Wechselwirkungsanteile der SFE und der OFS ein vollständiges Bild der Benetzung ergeben. Kontaktwinkelmessungen, welche diese Wechselwirkungen einbeziehen, und Tintentests sollten demnach zu abweichenden Bewertungen von Oberflächen und damit auch zu unterschiedlichen Einschätzungen der Qualität einer Vorbehandlung führen.

 

In der vorliegenden Studie haben wir für 13 sehr unterschiedliche Materialien SFE-Ergebnisse aus Kontakt­winkelmessungen mit denen aus Tintentests verglichen. Darüber hinaus nahmen wir Vergleichsmessungen an drei plasmabehandelten Kunststoffen vor. Sowohl die wenigen übereinstimmenden Ergebnisse als auch die große Zahl von Abweichungen können wir dabei schlüssig erklären, indem wir den Einfluss polarer und dispersiver Wechselwirkungen berücksichtigen. Es zeigt sich, dass das SFE-Ergebnis eines Tintentests für viele Proben in Frage gestellt werden muss. Daneben weisen wir in diesem Artikel auf einige in der Messpraxis liegende Vorteile der Kontaktwinkelmethode hin.      

Hintergrund

Unbehandelte Kunststoffe und Materialien mit hydro­phoben Verunreinigungen besitzen eine niedrige SFE und geringe Polarität. Diese Eigenschaften führen besonders im Kontakt mit wässrigen Lacken und Druck­farben sowie Kleb- und Beschichtungsstoffen zu geringer Benetzung und Haftung. Für Polymere und viele andere Werkstoffe ist deshalb eine reinigende oder aktivierende Vorbehandlung erforderlich.

 

Gängige Aktivierungsverfahren wie Plasma- oder Flamm­behandlung erhöhen die SFE und verbessern so die Verarbeitungs­eigenschaften. Die Kontaktwinkelmessung und der Tintentest sind zwei häufig angewendete Ver­fahren, um die SFE zu bestimmen und so die Notwendig­keit oder den Erfolg einer Vorbehandlung zu prüfen.

 

Zur Testtintenmethode

Der Tintentest beruht auf der Annahme, dass die SFE des Festkörpers mit der OFS einer Flüssigkeit übereinstimmt, die den Festkörper gerade vollständig benetzt. Testtinten bestehen aus einer Reihe von Flüssigkeitsgemischen mit jeweils eingestellter OFS, meist in einem Abstand von 2 mN/m. Bei der Prüfung wird eine der Tinten mit einem Pinselstrich auf die Probe gebracht. Zieht sich die Tinte zusammen, wird jeweils die Tinte mit der nächst­niedrigeren OFS verwendet, bis der Pinselstrich einen stabilen Film ergibt. Das entspricht einer vollständigen Benetzung der Probe. Wenn bereits der erste Strich stabil ist, wird stattdessen die OFS schrittweise erhöht. Die OFS der Testtinte, die gerade einen Film bildet, wird mit der SFE des Materials gleichgesetzt.

 

 

Zur Kontaktwinkelmethode 

Bei einer Kontaktwinkelmessung wird ein Tropfen einer reinen Testflüssigkeit auf die feste Probe dosiert. Der Tropfen wird mit einer Kamera aufgenommen und das Videobild ausgewertet.

Abb. 1: Tropfenbildauswertung zur Kontaktwinkelmessung

Dort, wo die Konturlinie des Tropfens die Oberflächen­linie schneidet, wird der Kontaktwinkel θ gemessen. Je besser die Benetzung ist, desto kleiner ist dieser Winkel; bei vollständiger Benetzung beträgt er 0°.

 

Gemäß der seit über 200 Jahren gültigen Gleichung von Young besteht ein fundamentaler Zusammenhang zwi­schen dem Kontaktwinkel θ, der SFE des Festkörpers σs, der OFS der Flüssigkeit σl und der Grenzflächenspannung (GFS) σls zwischen Flüssigkeit und Festkörper:

Gleichung 1
Abb. 2: Einflussgrößen bei der Ausbildung des Kontaktwinkels gemäß der Gleichung von Young

Bei einer Kontaktwinkelmessung mit mehreren charakterisierten Testflüssigkeiten können sowohl die SFE als auch die GFS anhand verschiedener Modelle berechnet werden. Die meisten dieser Modelle gehen von polaren und dispersiven Anteilen der Flüssigkeits-OFS und der Festkörper-SFE aus.

 

Im Bereich der Kunststoffanalyse wird sehr häufig das Modell nach Owens, Wendt, Rabel und Kaelble (OWRK) verwendet (s. Literaturliste), das wir daher auch für die vorliegende Studie heranziehen.

 

 

Experimenteller Teil

Untersuchte Proben

Um die Studie möglichst breit anzulegen, haben wir 13 Materialien untersucht, darunter Kunststoffe, Mineralien und Metalle. Zudem wählten wir sehr unterschiedliche Materialqualitäten, von chemisch annähernd ideal homogenen Oberflächen über technische Rohmaterialien bis hin zu fertigen Verkaufsprodukten. So haben wir für den Methodenvergleich ein breites Spektrum möglicher oberflächenanalytischer Fragestellungen abgedeckt.

Probe Qualität Bezeichnung
Acrylnitril-Butadien-Styrol technisch ABS
Aluminium Fertigprodukt (Folie) Alu
Glas Fertigprodukt (Objektträger) Glas
Glimmer chemisch homogen, Einkristall, frisch gespalten Glimmer

Polyamid 6

(Akulon® K222‑D)

technisch PA6

Polyamid 6 + 3%

Cloisite® 30B  

technisch PA6 + 3% C30
Polydimethylsiloxan rein, synthetisiert PDMS
Polyethylen Finished product (film) PE
Polyethylen-terephthalat Fertigprodukt (Folie) PET
Polypropylen technisch PP
Polytetrafluorethylen technisch PTFE
Polyvinylchlorid Fertigprodukt (Tischdecke) PVC
Siliziumwafer chemisch homogen, Einkristall Si

 

Tab. 1: Untersuchte Proben

Für PDMS, PVC und PET wurde zusätzlich die Änderung der SFE im Zuge einer Plasmabehandlung untersucht.

 


Probenvorbereitung

Alle Proben (bis auf Glimmer) wurden vor der Messung mit einer entfettenden Spülmittellösung gereinigt und dann sehr gründlich mit heißem und kaltem Leitungswasser und schließlich mit destilliertem Wasser abgespült. Danach wurden verbleibende Wassertropfen mit Isopropanol heruntergespült. Zum Schluss erfolgte eine Trocknung der Proben mit sauberer Pressluft.

 


Verwendete Testtinten

Für alle Proben führten wir Tests mit zwei verschiedenen Testtintenreihen durch:

 

  • Reihe A (gelb): Eingefärbte Gemische aus Ethanol und Wasser
  • Reihe B (blau): Eingefärbte Gemische aus Formamid und Ethylenglycolmonomethylether (EGMM)

 

Die Test wurden gemäß der Norm ASTM D 2578-84 durchgeführt.

 

Für die Tests lagen uns jeweils Tinten mit OFS-Werten in 2 mN/m Abständen im Bereich zwischen 30 und 56 mN/m vor. SFE-Werte oberhalb von 56 mN/m und unter­halb von 30 mN/m konnten somit nicht erfasst werden.

 


Bedingungen für die Kontaktwinkelmessung

Die Kontaktwinkelmessungen wurden mit unserem Drop Shape Analyzer – DSA100 durchgeführt. Für die Dosierung kam ein softwaregesteuertes Dosiersystem für mehrere Flüssigkeiten zum Einsatz.


Für die SFE-Bestimmungen wählten wir die drei Standard-Testflüssigkeiten Wasser, Diiodmethan und Ethylenglycol. Diese Auswahl deckt die Bandbreite von rein dispersiv bis sehr polar ab und ist daher zur Bestimmung polarer und dispersiver Anteile besonders geeignet. In der Qualitätskontrolle werden häufig Messungen mit den beiden Testflüssigkeiten Wasser und Diiodmethan durchgeführt, welche hinsichtlich der Polarität zwei Extreme darstellen.

 

Gemessen wurden statische Kontaktwinkel (Messung bei gleich bleibendem Tropfenvolumen). Die Tropfen wurden an der Nadel der Dosiereinheit erzeugt, behutsam auf der Probe abgesetzt und anschließend analysiert. Zeitliche Änderungen des Kontaktwinkels lagen bei keiner der Proben vor.

 


Bedingungen der Plasmabehandlung

Für die Plasmabehandlung von PDMS, PVC und PET verwendeten wir einen Plasmastift piezobrush® von der Firma Rheinhausen Plasma. Der Stift wurde in einem Abstand von 8 mm zur Probe oberhalb eines automatischen Probentischens des DSA100 positioniert. Die eingestellte Achsengeschwindigkeit betrug 2 mm/s. Zeitgleich mit dem Beginn der Behandlung wurde die Achse über eine Strecke von 40 mm und anschließend wieder zurück bewegt, sodass die gesamte Einwirkdauer 40 s betrug.

 

Für PDMS und PVC wurde zusätzlich eine Behandlung mit einer Einwirkdauer von 60 s durchgeführt; dabei bewegte die Achse die Probe ein weiteres Mal unter dem Stift.

Abb. 3: Aufbau für die standardisierte Plasmabehandlung zweier Proben
Ergebnisse und Interpretation

Messungen an unbehandelten Proben

Die folgende Tabelle enthält die SFE-Ergebnisse aus den Kontaktwinkelmessungen und den Tintentests für die nicht plasmabehandelten Materialien:

Probe

SFE nach OWRK
aus Kontaktwinkeln

[mN/m, pol. Ant. in %]

Testtinte A

[mN/m]

Testtinte B

[mN/m]
ABS 37.1 [16%] 34 34
Al 55.9 [46%] ≥56 ≥56
Glas 64.6 [50%] >56 >56
Glimmer 53.7 [24%] »56 »56
PA 6 50.6 [19%] ≥56 ≥56
PA 6+3% C30  52 [24%] ≥56 ≥56
PDMS 21.6 [0%] «30 «30
PE 32.2 [0%] 30 30
PET 44.2 [3%] 34 34
PP 29.6 [0%] ≤30 30
PTFE 16.1 [0%] «30 «30
PVC 47.1 [3%] 30 32
Si 48.5 [39%] 46 42

 

Tab. 2: Ergebnisse der Vergleichsmessungen zwischen Kontaktwinkeln und Tintentests für alle unbehandelten Proben

Für die beiden sehr niedrigenergetischen Polymere PDMS und PTFE lagen die SFE-Werte deutlich unter 30 mN/m. Dieser Messbereich konnte mit den verwendeten Testtinten (ab 30 mN/m) prinzipiell nicht erfasst werden. Für Glas können wir ebenfalls keine Aussage hinsichtlich der Übereinstimmung treffen, da der mit Kontaktwinkeln gemessene Wert von 64,6 mN/m oberhalb des Bereichs der verwendeten Testtinten lag.

 

Bei den beiden in der Tabelle grün markierten Proben PE und PP stimmten die Ergebnisse gut überein. Bei allen anderen Proben gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den Kontaktwinkel- und Testtintenergebnissen und zum Teil auch Differenzen bei den Testtinten untereinander.

 

Interpretation anhand der Grenzflächenspannung

Auffällig ist, dass die beiden Proben mit guter Übereinstimmung niedrigenergetisch und unpolar sind, während die Abweichungen bei höherenergetischen, polaren Proben auftreten. Das lässt sich dadurch erklären, dass der Tintentest eine für die Benetzung wichtige Größe vernachlässigt, nämlich die GFS (s. Abb. 2). Gemäß der Testtintenmethode liegt voll­ständige Benetzung immer dann vor, wenn die SFE gleich der OFS der Flüssigkeit ist. Das entspricht einer gleichen Länge der Vektoren σs und σl in Abb. 2. Die GFS σls geht in diese Betrachtung nicht ein. Tatsächlich kann die GFS auch dann größer als null sein, wenn σs und σl gleich sind.

 

Die folgenden Grafiken illustrieren anhand der Gleichung nach Young die Möglichkeit unterschiedlicher Benetzung in Fällen, bei denen SFE und OFS jeweils gleich sind.

Abb. 4: Unterschiedliche Benetzung trotz Gleichheit zwischen SFE und OFS. Je kleiner der Kontaktwinkel ist, desto kleiner ist die GFS.

Demnach kann es zu unvollständiger Benetzung kommen, auch wenn SFE und OFS gleich sind; es kommt sogar sehr wahrscheinlich dazu.

 

Die GFS hängt von den Wechselwirkungen zwischen Flüssigkeit und Festkörper ab. Gäbe es keinerlei anziehende Wechselwirkungen zwischen dem Festkörper und der Flüssigkeit, würde die Flüssigkeit bestrebt sein, ihre Grenzfläche mit dem Festkörper zu minimieren, d.h. die Benetzung zu vermeiden. Dementsprechend ist in diesem Fall die Grenzflächenspannung zwischen Fest­körper und Flüssigkeit maximal. Sie sinkt mit steigenden Wechselwirkungen zwischen Festkörper und Flüssigkeit.

 

Polare und dispersive Anteile von SFE oder OFS haben ihre Ursache in verschiedenen physikalischen Wechsel­wirkungen. Daher berücksichtigen auch alle gängigen Theorien zur Bestimmung der Grenzflächenspannung die jeweilige Aufteilung von SFE und OFS in polare (Index p) und dispersive (Index d) Anteile:

Gleichung 2

Dabei bilden die polaren Anteile des Festkörpers nur mit den polaren Anteilen der Flüssigkeit Wechselwirkungen aus, die dispersiven Anteile des Festkörpers nur mit den dispersiven Anteilen der Flüssigkeit.

 

Die folgende Grafik illustriert dieses Verhalten noch einmal anschaulich.

Abb. 5: Schematische Darstellung der Wechselwirkungen beim Phasenkontakt (oben: vollständige Benetzung; unten: unvollständige Benetzung). GFS und Adhäsionsarbeit wurden nach OWRK berechnet

Gezeigt wird der Kontakt zwischen einem Festkörper mit einer Gesamt-SFE von 50 mN/m und einer Flüssigkeit mit gleich hoher Gesamt-OFS. Das ist der Fall, in dem bei einem Tintentest von vollständiger Benetzung ausge­gangen wird.

 

Die großen Hände charakterisieren die jeweiligen (oft­mals stärkeren) polaren Anteile und die kleinen die (oft­mals schwächeren) dispersiven. In der oberen Grafik stimmen polare und dispersive Wechselwirkungen überein, jede polare Hand des Festkörpers greift eine polare Hand der Flüssigkeit und jede dispersive findet eine dispersive Partnerhand. Die anziehenden Wechsel­wirkungen zwischen Festkörper und Flüssigkeit sind maximal und somit verschwindet die Grenzflächen­spannung, sie ist null. Nach dem unteren Bild in Abb. 4 ist auch der Kontaktwinkel in diesem Fall null. Praktisch kommt der Fall einer verschwindenden GFS bei Gleichheit von SFE und OFS allerdings fast nur dann vor, wenn rein dispersive Flüssigkeiten rein dispersive Festkörper benetzen.

 

Die untere Grafik zeigt den Regelfall, bei dem die Aufteilung in polare und dispersive Anteile zwischen den Phasen unterschiedlich ist. In diesem Beispiel gibt es jeweils nur ein Paar von ineinander greifenden polaren großen und dispersiven kleinen Händen. Daher verbleibt eine nicht verschwindende Grenzflächenspannung in der Ver­bindung Festkörper-Flüssigkeit. Somit ist in diesem Fall auch der Kontaktwinkel größer Null, so wie in den beiden oberen Beispielen in Abb. 4. Es kommt also trotz gleicher OFS und SFE zu unvollständiger Benetzung.

 

In einer anderen Studie haben wir die polaren und dispersiven Anteile der jeweiligen Testtinten bestimmt. Hieraus geht hervor, dass die Testtinten bei 30 mN/m gänzlich oder weitestgehend unpolar sind und dann die Polarität mit steigender OFS ansteigt. Das ist auch der Grund, warum nur bei PP und PE die Tintentest-Ergeb­nisse gut mit den SFE-Werten aus Kontakt­winkel­messungen übereinstimmen (s. Tab. 2). Bei diesen Proben sind nicht nur SFE und OFS gleich, sondern auch die polaren Anteile (0 mN/m), weshalb gemäß den Benetzungstheorien (z.B. OWRK) die GFS gleich null wird. Bei allen anderen untersuchten Kombinationen unter­scheiden sich die Polaritäten der Festkörper und der Testtinte, so dass die Benetzung nicht die SFE des Fest­körpers wiedergibt. Auch sind die Polaritäten für die gelben und blauen Testtinten bei gleicher OFS unter­schiedlich. Dies erklärt, warum z.B. für Si die SFE-Ergeb­nisse mit unterschiedlichen Testtinten verschieden sind.

 

 

Messung an plasmabehandelten Proben

Am deutlichsten wurde der Unterschied zwischen Kontaktwinkelmessungen und Testtinten bei Untersuchungen an plasma­behandelten Proben. Die folgenden Tabellen 3a), b) und c) enthalten die Ergebnisse für PDMS, PVC und PET vor und nach der Behandlung bei unterschiedlichen Einwirkzeiten. Die Benetzungsbilder der Testtinten haben wir dokumentiert.

a) PDMS
Dauer SFE nach OWRK
aus Kontaktwinkeln
Testtinte A Testtinte B
0 s

gesamt: 21.6 mN/m

polar: 0.0 mN/m

dispersiv: 21.6 mN/m
gesamt: < 30 mN/m gesamt: < 30 mN/m
40 s

gesamt: 40.3 mN/m

polar: 14.2 mN/m

dispersiv: 26.1 mN/m

gesamt: < 30 mN/m

gesamt: < 30 mN/m

60 s

gesamt: 67.9 mN/m

polar: 42.3 mN/m

dispersiv: 25.5 mN/m
gesamt: < 30 mN/m
gesamt: < 30 mN/m
b) PVC
Dauer SFE nach OWRK
aus Kontaktwinkeln
Testtinte A Testtinte B
0 s

gesamt: 47.1 mN/m

polar: 1.3 mN/m

dispersiv: 45.7 mN/m

gesamt: 30 mN/m
gesamt: 30 mN/m
40 s

gesamt: 54.1 mN/m

polar: 6.4 mN/m

dispersiv: 47.7 mN/m

gesamt: 34 mN/m

gesamt: 34 mN/m
60 s

gesamt: 61.7 mN/m

polar: 14.25 mN/m

dispersiv: 47.44 mN/m

gesamt: 36 mN/m
gesamt: 38 mN/m
c) PET
Dauer SFE by OWRK
from contact angles
Testtinte A Testtinte  B
0 s

gesamt: 47.2 mN/m

polar: 1.6 mN/m

dispersiv: 45.6 mN/m

gesamt: 34 mN/m

Totgesamtal: 34 mN/m
40 s

gesamt: 70.2 mN/m

polar: 26.1 mN/m

dispersiv: 44.1 mN/m

gesamt: 54 mN/m

gesamt: 54 mN/m

Tab. 3 a-c: Ergebnisse der Vergleichsmessungen zwischen Kontaktwinkeln und Tintentests
für drei unbehandelte und plasmabehandelte Kunststoffe

Mit Methoden wie Plasma- oder Koronabehandlung werden durch Oxidation polare Gruppen in die Struktur der Oberfläche eingefügt. Die Änderung der SFE beruht also wesentlich auf der Erhöhung des polaren Anteils. Dieser Effekt der Behandlung zeigt sich durchgehend bei den Kontaktwinkelauswertungen nach OWRK: Der sehr deutliche Anstieg der SFE durch die Plasmabehandlung kommt fast ausschließlich durch die Erhöhung des polaren Anteils zustande.

 

Die Testtinten geben die Erhöhung der SFE bei PDMS und PVC nicht wieder. Bei diesen beiden Kunststoffen sind die Testtinten gewissermaßen blind für den Behand­lungseffekt.

 

Beim PET wird der Einfluss der Vorbehandlung im Tintentest stärker sichtbar, doch auch hier führen die Testtintenergebnisse zu einer Unterbewertung des Effekts der Plasmabehandlung.

 

 

Praktische Vorteile der Kontaktwinkelmessung

Neben der zuverlässigen Messung der SFE im gesamten Polaritätsspektrum fester Materialien hat die Kontakt­winkel­messung eine Reihe weiterer Vorteile gegenüber der Testtintenmethode. Dazu gehören zusätzliche Infor­mationen, welche aus der Messung gezogen werden können, wenn auch die benetzende Flüssigkeit charak­terisiert wird. Die Berechnung der Ad­häsionsarbeit (s. Abb. 5) und der GFS gibt Aufschluss über die Qualität eines Grenzflächen­kontakts: Die Adhä­sionsarbeit beschreibt die Kraft, mit der die beiden Phasen aneinander haften. Die GFS verweist auf die inhärente Spannung einer Verklebung oder Beschich­tung. Bei hoher GFS können sich die Phasen leichter ungewollt voneinander lösen, zum Beispiel durch eindringende Feuchtigkeit.

 

Einige Testtinten, insbesondere die nach ISO 8296 gemischten Reihen, enthalten die giftigen Flüssigkeiten Formamid und EGMM. Bei der routinemäßigen Qualitäts­kontrolle kann dadurch die Gesundheit der prüfenden Mitarbeiter gefährdet werden. Kontaktwinkel­messungen sind mit unbedenklichen oder weniger gesundheits­gefährdenden Flüssigkeiten möglich. Außerdem werden für die Messung wesentlich geringere Substanz­mengen benötigt als beim Tintentest.

 

Testtinten sind auch als harmlosere Ersatzprodukte auf Ethanolbasis erhältlich, wie die Testtinte A aus unserer Studie. Dabei kann aber der flüchtige Alkoholanteil teilweise verdunsten, so dass sich die Zusammensetzung der Tinte bei längerem oder häufigem Öffnen der Flaschen ändert. Aus demselben Grund kann sich auch beim Auftragen das Benetzungsverhalten verändern. Noch gravierender ist dieser Nachteil bei höheren Temperaturen.

 

Ein weiterer Vorteil der Kontaktwinkelmethode lautet, dass die Prüfmittel nicht direkt mit der Probe in Kontakt kommen. Dadurch können die Testflüssigkeiten nicht durch die Probe verunreinigt werden. Bei einer Testtinte hingegen streicht der Pinsel über die Probe und kann nach dem Test den gesamten Tintenvorrat in der Flasche kontaminieren.

 

Viele Proben bieten nur eine kleine Fläche zur Durch­führung einer Benetzungsuntersuchung. Testtinten benö­tigen aber für das Aufstreichen mehrerer Linien, die nicht ineinander verlaufen dürfen, relativ viel Platz. Hingegen kann die SFE mit Kontaktwinkeln auf wenigen Quadrat­zentimetern gemessen werden.

 

Bis zur Entwicklung schneller und handlicher Mess­instrumente für den Kontaktwinkel boten Testtinten Vorteile für die Oberflächenprüfung direkt vor Ort. Mit unserem Mobile Surface Analyzer – MSA ist die SFE-Mes­sung ebenso mobil und sogar noch schneller als ein Tintentest.

 

Beim Tintentest sind unterschiedliche Beurteilungen der Benetzung möglich, so dass das Ergebnis vom prüfenden Mitarbeiter abhängt. Beim MSA hingegen ist das Messergebnis durch die computergestützte Automa­tisierung der Messung und Auswertung unabhängig von subjektiven Bewertungen.

 

 

Zusammenfassung

Eine Vergleichsstudie zu Kontaktwinkelmessungen und Tintentests an 13 Materialien ergab zum Teil große Unterschiede der SFE-Werte. Gut war die Überein­stimmung lediglich bei zwei niederenergetischen, unpolaren Kunststoffen.

 

Die Unterschiede konnten wir anhand des Benet­zungs­modells nach OWRK erklären. Dieses fordert für gute Benetzung eine Kompatibilität der Phasen hinsichtlich der polaren und dispersiven Anteile. Diese Voraussetzung ist bei Tintentests nicht gegeben: Eine Tinte, deren Gesamt-OFS mit der SFE des Festkörpers wertgleich ist, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere Polarität und benetzt die Probe nicht vollständig.

 

Bei Vergleichsmessungen an drei plasmabehandelten Kunststoffen konnte der Behandlungseffekt bei zwei der Materialien nur durch Kontaktwinkel, nicht aber durch Tintentests detektiert werden. Beim dritten Kunststoff lagen die Ergebnisse der Kontaktwinkelauswertung we­sentlich höher als die der Tintentests.

 

Neben den systematischen Vorteilen der Kontakt­winkelmessung aufgrund der ausgereiften Theorie haben wir einige messpraktische Vorzüge der Methode herausgestellt. Dazu zählt die geringere Gesundheits­gefahr aufgrund unbedenklicherer Substanzen und kleiner Mengen im Vergleich zum Tintentest.

 

Das im Gegensatz zum Tintentest berührungslose Verfahren unterbindet mögliche Kontamination der Flüssigkeiten. Günstig sind auch die kleine Prüffläche, mit der die Kontaktwinkelmessung auskommt, und mögliche Messungen bei höheren Temperaturen. Ehemalige Vorteile des Tintentests wie Mobilität und Schnelligkeit fallen durch den Einsatz neuer, handlicher Instrumente wie des Mobile Surface Analyzer – MSA fort. Ein weiterer Vorteil des MSA liegt in der vollständig automatisierten, von Bewertungen unabhängigen Messung.

 

 

Literatur
  • D. H. Kaelble, Dispersion-Polar Surface Tension Properties of Organic Solids. In: J. Adhesion 2 (1970), P. 66-81.
  • D. Owens; R. Wendt, Estimation of the Surface Free Energy of Polymers. In: J. Appl. Polym. Sci 13 (1969), P. 1741-1747.
  • W. Rabel, Einige Aspekte der Benetzungstheorie und ihre Anwendung auf die Untersuchung und Veränderung der Oberflächeneigenschaften von Polymeren. In: Farbe und Lack 77, 10 (1971), P. 997-1005.

 

 

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