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AR280

Flammaktivierung von Polymeroberflächen optimieren

Mobile Kontaktwinkelmessungen an glasfaserverstärkten Kompositmaterialien für den Automobilinnenraum

Polymerbasierte Kompositmaterialien werden zur Gewichtsreduktion vermehrt im Automobilbau eingesetzt. Für eine stabile Verklebung und Beschichtung ist in der Regel eine Behandlung der Oberfläche dieser Materialien notwendig. Am Beispiel von Zierteilen für den Automobilinnenraum zeigen wir, wie mit Hilfe von mobilen Kontaktwinkelmessungen die Flammaktivierung genau verfolgt werden kann.

 

Einer unserer Kunden beobachtete eine inakzeptabel hohe Ausschussrate nach Aufbringen einer Dekorfolie – die Folie löste sich verstärkt an bestimmten Stellen wieder ab. Testtinten zeigten hier keine lokalen Unterschiede. Innerhalb weniger Stunden wurden verschiedene Parameter des Beflammungsprozesses vor Ort variiert und die Freie Oberflächenenergie mit Hilfe des Mobile Surface Analyzer – MSA an unterschiedlichen Stellen anhand von Kontaktwinkelmessungen auf der behandelten Oberfläche bestimmt. Dabei zeigte sich, dass eine Seite der Werkstücke systematisch unteraktiviert wurde, was vermutlich auf einen erhöhten Abstand zwischen Flamme und Kompositoberfläche zurückzuführen war.

Abb. 1: Automobilinnenraum. Grundteile einer Armaturen-brett¬abdeckung, wie sie hier zu sehen ist, wurden im Rahmen dieser Untersuchung vermessen.
Hintergrund

Polymer- und Verbundwerkstoffe im Automobilbau

Als Alternative zu Materialien wie Stahl, Aluminium und Glas finden neuartige Kompositmaterialien auf Basis von Polymeren vermehrt Einsatz im Automobilbereich. Grund hierfür ist vor allem eine drastische Gewichtsreduktion und damit einhergehend ein verringerter Kraftstoff­verbrauch und CO2-Ausstoß. Um den hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards im Automobilbau gerecht zu werden, müssen solche Materialien verlässlich beschichtet und stabil verklebt werden. Doch genau hierbei kommt es in der Praxis häufig zu Problemen wie instabilen Klebe­ver­bindungen oder das Ablösen von Lacken und Folien.

 

 

Die freie Oberflächenenergie und ihr Beitrag zum Adhäsionsverhalten

Grund für solche Probleme ist die typischerweise geringe freie Oberflächenenergie (surface free energy, SFE) von Polymeren, die ein Spreiten flüssiger Beschichtungen und eine physikochemische Verbindung zwischen Festkörper und Flüssigkeit verhindert. Die Polymeroberfläche muss also zunächst aktiviert und die SFE dadurch erhöht werden. So werden physikalische Effekte, welche das Adhäsionsverhalten von Beschichtungen und Verkle­bungen bestimmen (z. B. Spreit­koeffizient, Adhä­sion­­sarbeit, Grenzflächenspan­nung), optimiert. Für die Aktivierung von Polymer­ober­flächen stehen Techniken wie Beflammung, Plasma-, Korona- oder eine chemische Behandlung zur Verfügung. Eine Änderung der SFE nach Behandlung kann dabei durch Kontaktwinkelmessungen von mindestens zwei Flüssig­keiten nach dem Modell von Owens, Wendt, Rabel und Kaelble (OWRK) quantifiziert werden [1].

 

 

Flammaktivierung von glasfaserverstärktem Polypropylen

Ein Zulieferer von glasfaserverstärkten Polypropylenteilen (GFR-PP) für den Automobilinnenraum kontaktierte uns und berichtete von Problemen bei der Haftung von Dekorfolie auf Armaturenabdeckungen. Die Abdeckun­gen wurden vor dem Aufbringen der Folie mittels Beflammung aktiviert. Der Behandlungseffekt war nach anschließenden SFE-Bestimmungen mit Testtinten scheinbar zufriedenstellend. Tatsächlich löste sich die Dekorfolie jedoch bei einer inakzeptablen Zahl der aktivierten Teile an bestimmten Stellen ab. Mit Testtinten ließen sich keine Unterschiede zwischen diesen Problemstellen und anderen beflammten Bereichen feststellen.

 

 

Kontaktwinkelmessung als valide Testmethode

Unsere Antwort auf die nicht aussagekräftigen Test­tinten­versuche des Zulieferers waren Kontaktwinkel­messungen. Während Testtinten keinerlei Aussage über polare und disperse Anteile der SFE liefern, erlauben Kontaktwinkelmessungen diese Unterscheidung und somit die Berechnung handfester physikalischer Parameter, wie der Adhäsionsenergie oder der Grenz­flächen­spannung. Diese lassen sich dadurch gezielt optimieren und so eine maximale Haftung zwischen Klebstoff oder Beschichtung und Oberfläche erzielen. Eine Gegenüberstellung von Testtinten und Kontakt­winkel­messungen ist in Form eines Applikations­berichts verfügbar [2] und ausführlicher in [3] nachzulesen.

 

 

Experimenteller Teil

Messungen des Kontaktwinkels wurden beim Kunden vor Ort in einer Fertigungshalle mit dem vollautomatisch arbeitenden Mobile Surface Analyzer – MSA durch­geführt. Die Messungen verliefen zerstörungsfrei: Ein Zerschneiden der großen, nichtplanen Teile sowie ein Überführen der Proben in ein Testlabor entfallen beim MSA. Bei der Messung wurden zwei Test­flüssig­keiten (Wasser als polare und Diiodmethan als unpolare, dispersive Flüssigkeit) auf die Oberfläche des Kompositteils dosiert, mit anschließender Analyse der Tropfenkontur. Messungen auf unaktiviertem und flammaktiviertem PP sind beispielhaft in Abb. 2 gezeigt.

Abb. 2: Kontaktwinkelmessungen von Wasser (links) und Diiodmethan (DIM; rechts) auf unbehandeltem (A) und beflammtem (B) Polypropylen. SFE-Werte berechnet nach OWRK.

Die SFE-Werte wurden gemäß OWRK unter Verwendung der in Tabelle 1 aufgeführten Parameter errechnet.

Testflüssigkeit σ [mN/m] σd [mN/m] σp [mN/m]
Wasser 72.8 21.8 51.0
Diiodmethan 50.8 50.8 0.0

 

Tab. 1: Oberflächenspannung (σ) mit polaren (p) und dispersiven (d) Anteilen der verwendeten Testflüssigkeiten.

 

Es wurde ein Screening der Beflammungsparameter anhand von Kontaktwinkelmessungen durchgeführt. Hierzu wurden jeweils drei Armaturenabdeckungen mit gleichen Parametern (Gasfluss, Gas/Luft-Verhältnis, etc.) behandelt, an acht unterschiedlichen Stellen je Probe (Abb. 3) dann die SFE mit polaren und dispersiven Anteilen bestimmt und dann unter veränderten Bedingungen die nächsten drei Proben beflammt und vermessen. Insgesamt wurden unter acht verschiedenen Bedingungen 24 Teile beflammt und über 380 Kontakt­winkel­messungen in nur etwa zwei Stunden vor Ort mobil durchgeführt und anschließend ausgewertet.

Abb. 3: Schematische Darstellung einer Armaturenab-deckungs¬probe. Messungen wurden je an acht Stellen durchgeführt, welche hier entsprechend markiert sind.
Ergebnisse

Die anhand der Kontaktwinkelmessungen bestimmten SFE-Werte mit polaren und dispersiven Anteilen für alle acht untersuchten Bereiche sind in Abb. 4 beispielhaft anhand von Probe 11 dargestellt.

Abb. 4: SFE-Werte mit polaren und dispersiven Anteilen für Probe 11.

Während die Bereiche 1-4 vergleichbar hohe SFE-Werte und dabei insbesondere hohe polare Anteile durch die Flammaktivierung aufweisen, liegen die Werte für die Bereiche 5-8 deutlich niedriger. Die linke Seite der Probe ist demnach gut aktiviert und bietet in einem nachfol­gen­den Beschichtungsprozess ausreichend Wechsel­wirkungen für eine stabile Verbindung an. Die rechte Seite mit den Punkten 5-8 hingegen weist nur eine geringe Änderung der SFE-Werte verglichen mit einer unaktivierten Oberfläche (vgl. Abb. 2) auf.

 

Ein Blick auf die vollständige Übersicht der ermittelten SFE-Werte für alle Proben und Messbereiche untermauert diesen Befund (Abb. 5): Eine Seite der beflammten Teile (Punkte 5-8) war offenbar  systematisch unteraktiviert.

Abb. 5: SFE aller acht untersuchten Stellen (Spots) auf allen 24 untersuchten Proben (Samples).

Dieser Befund erklärt sehr gut die Beobachtung des Kunden, dass besonders in diesem Bereich eine nachfolgend aufgebrachte Dekorfolie Haftungsprobleme zeigte. Eine Lösung für die mangelhafte Aktivierung der rechten Probenseite stellt die Anpassung des Abstands zwischen Flamme und Probe in diesem Bereich dar.

 

Bei einem Blick auf die SFE-Werte der unterschiedlich behandelten Teile kann weiterhin schnell ein Optimum für die variierten Beflammungsparameter ausgemacht werden. Jeweils drei Proben wurden unter den gleichen Bedingungen beflammt. Die Proben Nr. 10 – 12 weisen den größten Anstieg der SFE, insbesondere der polaren Anteile auf, weshalb die hierbei verwendeten Parameter die optimalen Bedingungen für eine Vorbehandlung mit guter nachfolgender Haftung bedeuten.

 

 

Zusammenfassung

Für eine stabile Beschichtung ist die Aktivierung polymerer Kompositmaterialien unabdingbar. Während Testtinten oder Messungen mit nur einer Testflüssigkeit jedoch keine Aussage über die Polarität einer Oberfläche treffen können und Resultate stark benutzerabhängig sind, bieten mobile Messungen der freien Oberflächenenergie mit dem MSA eine verlässliche, quantitative Erfassung der Oberflächenaktivierung. Dies konnte beispielhaft an der Flammaktivierung von Armaturenabdeckungen aus glasfaserverstärktem Poly­propylen gezeigt werden: Mobile Kontaktwinkel­messungen belegten eine ungleiche Aktivierung entlang der Oberfläche. Ein Screening von acht unterschiedlichen Beflammungseinstellungen erlaubte eine schnelle Optimierung der Parameter. Durch eine zweistündige, zerstörungsfreie Messung direkt vor Ort konnte somit die Ausschussrate schnell und effizient gesenkt werden.

 

 

Literatur
  • [1] D. K. Owens, R. C. Wendt, “Estimation of the Surface Free Energy of Polymers”, J Appl Polym Sci 13, 1741 (1969).
  • [2] T. Willers, M. Jin, AR 272 - “Why test inks cannot tell the full truth about surface free energy” (2014).
  • [3] K. L. Mittal, “Advances in contact angle, wettability and adhesion”, Vol. 2, Wiley-Scrivener, ISBN 978-1119116981 (2015).

 

 

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